Warum es im Cockpit immer Piloten geben wird

Wir schreiben das Jahr 2036. Es ist 7 Uhr morgens und ich habe gerade wie jeden Montag um diese Zeit die Sicherheitskontrollen am Flughafen München hinter mir gelassen. Geblendet von den ersten Sonnenstrahlen des Tages rücke ich meine Brille zurecht und gebe ihr den Befehl, mich zu meinem Abflug-Gate zu navigieren. Zwar merke ich schnell, dass ich von meinen Smart Glasses in den üblichen Wartebereich geführt werde, aber ich wollte einfach auf Nummer sicher gehen. Schließlich ist heute ein historischer Tag für die deutsche Luftfahrt. Vor zwei Monaten hat das Luftfahrt-Bundesamt endgültig grünes Licht für autonomes Fliegen in Deutschland gegeben. Airlines in ganz Europa haben sich eifrig vorbereitet, nachdem die europäische Flugsicherheitsbehörde in den letzten fünf Jahren den Weg für Autonomie im Luftverkehr geebnet hat. Heute ist es nun also soweit: der Flug von München nach Hamburg wird erstmalig ohne Pilot im Cockpit durchgeführt werden – und ich bin als Passagier hautnah dabei.

Auf den ersten Eindruck ist alles wie immer. Per Smartphone wird mein Flugticket geprüft. Anschließend geht es über den Finger ins Flugzeug, wo bereits ein paar Flugbegleiter auf uns warten und uns an Bord begrüßen. Angekommen an meinem Platz fallen mir sofort die Bildschirme an den Rückenlehnen auf, die man sonst nur von Langstreckenflugzeugen kennt. Ich denke mir erstmal nichts weiter. Wie ich da so sitze, packt mich dann doch ein wenig die Aufregung. War es wirklich eine gute Idee, ausgerechnet als einer der ersten Passagiere autonom herumgeflogen zu werden? Hätte ich nicht lieber abwarten sollen, um zu sehen, ob auch ja alles gut geht? In Gedanken versunken, richte ich meinen Blick auf den Bildschirm vor mir, der sich nun angeschaltet hat. Nach einer rund 10-minütigen Präsentation, die – neben ein wenig Airline-Marketing und der sich niemals zu ändern scheinenden Sicherheitseinweisung – vor allem auf die Besonderheiten des heutigen Fluges hinweist, beginnt das Flugzeug sich langsam von der Stelle zu bewegen. In der Präsentation wird erklärt, dass der Bildschirm für den Rest des Fluges nicht wie angenommen der Unterhaltung, sondern vielmehr der Information dient. So wird am oberen Bildschirmrand beispielsweise die aktuelle Flugphase dargestellt. Darunter befindet sich der Hauptbildschirm, auf welchem mehr oder weniger die Flug- und Navigationsinstrumente dargestellt werden, die auch den Piloten zur Verfügung stehen bzw. gestanden haben. Das Ganze wird natürlich sehr vereinfacht und für Laien optisch aufbereitet, sodass der Otto-Normalpassagier ein grobes Gefühl dafür bekommt, was das unbemannte Flugzeug gerade macht.

Imaginärer Informationsbildschirm für die Passagiere. Eigenhändig bearbeitetes Foto von New York Times

Nach etwas mehr als einer Stunde sitzt der Flieger schließlich in Hamburg auf. In den Gesichtern der anderen Passagiere macht sich dezente Erleichterung bemerkbar und wie es sich für Deutsche gehört, wird nach der Landung ausgiebig geklatscht – so gleichgültig das für eine autonome Maschine auch sein mag.

Könnte so ein realistisches Szenario aussehen? Schwer zu sagen. Allerdings halte ich es für eher unwahrscheinlich. Warum das so ist, möchte ich dir in diesem Beitrag erläutern.

Warum Piloten auch in Zukunft gebraucht werden

Im Laufe meines Luftverkehrsmanagement-Studiums wurden wir immer mal wieder von externen Dozenten der Deutschen Flugsicherung beehrt, die Vorlesungen hielten oder ganze Module übernahmen. In einer dieser Vorlesungen ging es um die Realisierbarkeit von ADS-B, einer Technologie, bei der ein Flugzeug seine Position über Satellitennavigation oder andere Sensoren bestimmt und diese periodisch sendet, so dass es verfolgt werden kann. Ich kann mich noch gut an die folgenden Worte des Dozenten erinnern: „In der Luftfahrt geht alles sehr, sehr langsam voran.“

Und das ist genau der Punkt. Egal wo man hinsieht: in der Luftfahrt findet man Technik aus längst vergangenen Zeiten. Flugzeuge, wie die Boeing 737-300, die ihren Erstflug im Jahr 1967 hatte und dementsprechend ausgestattet ist. Navigationssysteme, wie das VOR (Drehfunkfeuer), das 1908 erfunden wurde und in seinem Grundprinzip bis heute genutzt wird. Und die Flugsicherung bzw. -überwachung basiert bis heute nicht etwa auf GPS, sondern fast ausschließlich auf Radarsystemen, eine Technologie, die aus dem Zweiten Weltkrieg stammt. Dieser Umstand ist nicht nur den hohen Investitionskosten und der dementsprechend langen Nutzungsdauer in dieser Branche geschuldet, sondern auch der Komplexität sowie der vielen Abhängigkeiten.

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Cockpit einer Boeing 737-300 betrieben durch Norwegian Air Shuttle. Foto von Alasdair McLellan

Natürlich ist dies kein Argument, welches ein Ein-Mann-Cockpit oder gar ein vollkommen autonomes Flugzeug ausschließt. Dennoch zeigt es auf, wie schwerfällig das System „Luftfahrt“ ist und wie unwahrscheinlich eine schnelle Evolution sein dürfte.

Wesentlich schwieriger wird es, wenn man sich klarmacht, dass der Faktor Mensch immer als Back-up agiert, sobald die Maschine nicht mehr weiterweiß. So kommt es in Airline-Cockpits nicht selten vor, dass der Bordcomputer (FMS) und damit der Autopilot nicht wie erwartet reagieren, die Piloten sich anschließend die rhetorische Frage „Was zum Teufel macht es jetzt?“ stellen und schließlich selbst die Steuerung des Flugzeugs übernehmen. Dies macht deutlich, worin der Mensch auf absehbare besser ist als die Maschine: in der Gesamtleitung des Fluges (vor, während und nach dem eigentlichen Flug), bei der Entscheidungsfindung in unvorhersehbaren Situationen (Vulkanaschewolken, Bombenattentate, Entführungen) und schlichtweg in der Kreativität. Im Zusammenhang „Mensch als Back-up“ darf zudem nicht vergessen werden, dass ein Ein-Mann-Flugzeug im Falle einer Pilot Incapacitation – also dem Ausfall eines Piloten – in der Lage sein muss, vollkommen autonom zu fliegen. Ein Single-Pilot-Airliner muss daher von Haus aus die Voraussetzungen eines autonomen Flugzeugs erfüllen. Fraglich ist daher, ob es überhaupt so etwas wie ein Ein-Mann-Cockpit geben wird.

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Die sogenannte Multifunctional Control and Display Unit (MCDU) ist neben dem Autopilot die primäre Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine im Flugzeug.

In meinen Augen ist ein vollkommen autonomes Flugzeug in absehbarer Zukunft jedoch höchst unrealistisch. Beschäftigt man sich ein wenig tiefgründiger mit Autonomie und maschinellem Lernen so stößt man schnell auf eine Vielzahl an Herausforderungen. Roboter sind gut in Aufgaben, die Menschen schwer fallen (z. B. Rechenoperationen), aber wiederum schlecht in Dingen, die Menschen sehr leicht fallen (z. B. Bilder zu deuten). Fei-Fei Li, Expertin für computer-gestütztes Sehen und maschinelles Lernen an der Standford University bringt es auf den Punkt: „Selbst die smartesten Maschinen sind blind. […] Ja, wir haben Prototypen von Autos, die selbständig fahren können. Aber ohne intelligentes Sehvermögen können sie nicht wirklich zwischen einer zerknüllten Papiertüte auf der Straße, die man überfahren kann, und einem Felsen dieser Größe, den man vermeiden sollte, unterscheiden.“

Neben all den technischen Hürden müssen natürlich auch gesellschaftliche Aspekte in dieser Debatte berücksichtigt werden. Schließlich bringt es den Airlines nichts, wenn sie das teure fliegerische Personal durch Maschinen ersetzen, aber dafür mit leeren Flugzeugen durch die Gegend fliegen, weil das Vertrauen von Seiten der Passagiere fehlt. Eine im Jahr 2016 durchgeführte Umfrage des Digitalverbands Bitkom ergab, dass 9 von 10 Flugreisenden, derzeit nicht in ein Flugzeug ohne Pilot steigen würden. Die Unfälle zweier Boeing 737-MAX, welche noch nicht allzu lange zurückliegen, dürften Passagiere auf der ganzen Welt sensibel auf das Thema Automatisierung gemacht haben. Beide Abstürze sind auf einen Software-Fehler zurückzuführen, welcher durch fehlende oder falsche Gegenmaßnahmen nicht zu beheben war. Natürlich wird das Vertrauen auf lange Sicht größer, wenn sich Menschen beispielsweise zunehmend an autonome Autos und deren Zuverlässigkeit gewöhnen. Dennoch sollten Airlines wie Flugzeughersteller jenen gesellschaftlichen Aspekt keinesfalls vernachlässigen.

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Die Boeing 737-MAX von Ethiopian Airlines – eine der beiden Unfall-Maschinen. Foto von LLBG Spotter

Nicht zuletzt ist autonomes Fliegen auch eine Kostenfrage. Gerade in der Anfangsphase dürften autonome Flugzeuge sehr kostenintensiv sein. Nur wenn die Entwicklungs-, Anschaffungs- und Betriebskosten einer autonomen Flotte, die Kosten einer gut ausgebildeten und erfahrenen, menschlichen Crew weit unterschreiten, kann sich autonomes Fliegen für Airlines wirklich lohnen.

Das dürften die wesentlichen Argumente der Gegner eines unbemannten Cockpits gewesen sein. Falls dir noch weitere Aspekte einfallen, die in dieser Debatte nicht fehlen dürfen, dann teile sie doch in Kommentaren. Eine Prognose, ob und wenn ja, wann das Ein-Mann-Cockpit oder autonome Flugzeuge Realität werden, maße ich mir hier natürlich nicht an. Ich bin dennoch davon überzeugt, dass das Zwei-Mann-Cockpit in absehbarer Zukunft beibehalten wird, um die Wichtigste aller Redundanzen zu gewährleisten: den Menschen. Passend hierzu, möchte ich diesen Beitrag mit folgendem, leicht ironischen Zitat von Kapitän Jon Horne, Präsident der European Cockpit Association (ECA):

In der ECA-Zentrale haben wir im Geheimen ein Produkt entwickelt, das den Betrieb mit nur einem Piloten ermöglicht, und können mit Stolz verkünden, dass es marktreif ist! Anstelle von Millionen von Euro für Computerausrüstung pro Flugzeug kostet es nur 60.000 € für den Einbau im ersten Betriebsjahr, und für einen bescheidenen Beitrag zwischen 60 und 75.000 pro Jahr danach sind auch alle Wartungsanforderungen abgedeckt. Es erlaubt nicht nur den Flug mit nur einem Piloten, sondern ermöglicht es einem einzelnen Piloten, der als Kapitän fungiert, das Flugzeug durch die Flugvorbereitung, vom Start bis zur Landung und dem Aussteigen zu steuern. Der Name für dieses Wunderprodukt? Unser Arbeitstitel ist im Moment… „Der Erste Offizier“.

In diesem Sinne vielen Dank fürs Lesen und bis zum nächsten Mal.

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