Dinge, die ich durch meine Pilotenausbildung fürs Leben gelernt habe

Es ist nun schon mehr als ein Jahr her, seitdem ich meine Berufspilotenausbildung erfolgreich abgeschlossen habe. Auch wenn ich meinen einstigen Traumberuf zurzeit leider nicht weiterverfolgen kann, habe ich doch während meiner Ausbildungszeit vieles gelernt. Da wäre zum Beispiel die sehr umfangreiche Flugtheorie. Vor allem das Büffeln der ATPL-Theorie – ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Berufspiloten – ist mir und meinen Kommilitonen manchmal so vorgekommen, als würden wir neben der Pilotentätigkeit auch noch den Beruf des Meteorologen, Flugzeugmechanikers oder Fliegerarztes erlernen. Neben fachspezifischen Dingen habe ich jedoch auch einige Dinge fürs Leben gelernt. Je länger ich über die vergangene Zeit nachgedacht habe, desto mehr „Lektionen“ sind mir eingefallen. Am Ende dieses Denk-Prozesses bin ich auf insgesamt fünf Punkte gekommen, die ich gerne im Folgenden mit dir teilen möchte.

1. Verliere nie dein übergeordnetes Ziel aus den Augen!

Während meiner Ausbildung, vor allem in schwierigen oder stressigen Abschnitten, habe ich mir immer vorgestellt, wie großartig es wohl sein wird, wenn ich eines Tages meine Berufspilotenlizenz in den Händen halte. Das Ziel stets im Blick zu behalten steigert aber nicht nur die Motivation, sondern sorgt auch dafür, die nächsten erforderlichen Schritte „gezielter“ zu planen – egal ob man erst am Anfang oder bereits kurz vor dem Abschluss steht. Dass diese Erkenntnis nicht nur für die Ausbildung zum Piloten gilt, sondern sich ebenso auf andere Berufe oder Bereiche des alltäglichen Lebens anwenden lässt, liegt auf der Hand.

2. Habe immer einen Plan und halte dich daran… oder entwickle einen Plan B.

Im professionellen Airline-Cockpit werden grundsätzlich alle Abschnitte des Fluges „gebrieft“, das heißt kurz und prägnant besprochen, bevor diese eintreten. Meist wird hierbei auch geregelt, wie sich die Crew verhält, falls etwas schief gehen sollte – Stichwort Startabbruch, Triebwerksausfall, Durchstarten. Natürlich ist es in kritischen Phasen des Fluges weitaus wichtiger zu wissen, was als nächstes zu tun ist. Ich habe jedoch auch im privaten Bereich festgestellt, welche Vorteile es einem bietet, stets einen Plan zu haben und zunächst einmal daran festzuhalten. Vor allem Letzteres ist meiner Meinung nach sehr wichtig. Ich erinnere mich noch gut an eine Situation am Anfang meiner Pilotenausbildung, in welcher ich etwas völlig anderes tat, als ich zuvor mit meinem Fluglehrer gebrieft habe.

3. Antizipiere, aber prognostiziere nicht!

Im selben Atemzug muss ich jedoch wieder zurückrudern und dir sagen, dass es nicht wichtig ist, alles bis ins kleinste Detail zu planen. Nicht nur das: manchmal kann dies sogar schaden. In diesem Zusammenhang ist sicherlich jeder Pilotenanwärter schonmal über die folgende Theorieprüfungsfrage gestolpert oder hat diese vielleicht sogar schon am eigenen Leib erfahren:

„Although the anticipation of possible events is a good attitude for pilots to acquire, it can sometimes lead to hazardous situations. With this statement in mind, select the response below which could lead to such a hazard:

A) Anticipating that the flight will take longer than planned.

B) Anticipating that the weather may deteriorate.

C) Anticipating the sequence of items on a check list.

D) Mishearing the contents of a reply from an air traffic controller when a non-standard procedure was given but a standard procedure was anticipated.“

Die Auflösung gibt’s am Ende des Beitrags. Fest steht, dass eine allumfassende Planung schier unmöglich ist, in Perfektionismus enden kann und im schlimmsten Fall dafür sorgt, sich in falscher Sicherheit zu wiegen.

4. De-Briefings sind genauso wichtig wie Briefings.

Nach jeder praktischen Flugstunde sind mein Fluglehrer und ich durch einen Prozess gegangen, der sich „De-Briefing“ nennt. Das De-Briefing bildet das Gegenstück zum bereits angesprochenen Briefing. Im Wesentlichen geht es darum, den Flug noch einmal mental Revue passieren zu lassen und zu besprechen, was gut oder nicht so gut gelaufen ist. „Warum ist etwas passiert?“ oder „Inwiefern würde man beim nächsten Mal anders handeln?“ sind Fragen, die es beim De-Briefing zu klären gilt. Es ist bekanntlich noch kein Meister vom Himmel gefallen. Umso wichtiger ist es daher, dass das De-Briefing nie weggelassen wird, beispielsweise aus Zeitmangel oder weil man denkt, dass es nichts zu besprechen gibt. Glaub‘ mir: man lernt aus jedem Flug irgendetwas. Auf eine ähnliche Weise lässt sich eine solche Nachbesprechung auch in das Privatleben übertragen. Dort heißt es dann beispielsweise „Weekly Review“ oder auch „Annual Review“. Am Prozess selbst ändert sich dadurch relativ wenig. Während man beim De-Briefing zum Beispiel ein durchgeführtes Flugmanöver, wie etwa ein Go-Around, bespricht, so blickt man bei einem Weekly Review auf die vergangene Woche zurück und notiert sich die Höhe- und Tiefpunkte oder aber Dinge, die man in dieser Zeit gelernt hat. Ziel dieser Reflexionsübung, der auch ich seit einiger Zeit nachgehe, ist aber nicht nur die Vorbeugung von Wiederholungsfehlern, sondern auch die allgemeine Bewusstseinssteigerung. Wie oft ist es mir schon so vorgekommen, als wäre die Woche mal wieder wie im Flug vergangen, ohne mehr zu wissen, was ich am Montag gemacht habe oder welche Erfolge ich feiern konnte – mögen diese auf den ersten Blick auch noch so klein erscheinen. Um es mit den Worten von Flannery O’Connor auf den Punkt zu bringen:

„Ich schreibe, weil ich nicht weiß, was ich denke, bis ich lese, was ich sage.“

5. Gesundheit ist nicht selbstverständlich

Zu den großen Schattenseiten des Pilotendaseins gehört sicherlich, dass man seine Lizenz augenblicklich verlieren kann, wenn man die alljährliche Flugtauglichkeitsuntersuchung nicht besteht. Natürlich kann einem das in jedem anderen Berufen ebenso passieren, jedoch mit dem Unterschied, nicht regelmäßig auf Herz und Nieren geprüft zu werden und dabei möglicherweise Befunde zu machen, die im Alltag völlig unbedenklich wären. Selbst verständlich hat ein jährlicher Check-up auch etwas Positives an sich. Danach hat man nämlich Gewissheit darüber, dass mit dem eigenen Körper alles stimmt. Dennoch habe ich bei jedem Fliegerarztbesuch einen beschleunigten Herzschlag – oder wie es Ärzte gerne ausdrücken: eine Sinustachykardie, die am ehesten dem Untersuchungsrahmen geschuldet ist. Ich selbst habe schon Leute kennen gelernt, die ihre Pilotenlizenz durch das Nichterfüllen der teils strengen Tauglichkeitsrichtlinien verloren haben. Mir haben diese Beispiele und das fliegerärztliche Verlängerungsritual jedenfalls klar gemacht, dass die eigene Gesundheit ein hohes Gut, wenn nicht sogar das höchste Gut darstellt und jeder bis zu einem gewissen Grad selbst dafür verantwortlich ist.

So, das waren jetzt die wichtigsten Lehren, die ich neben der fliegerischen Praxis aus meiner Pilotenausbildung gezogen habe. Natürlich könnte man jeden dieser Punkte noch weiter vertiefen, aber ich habe mich dazu entschlossen, meine Ausführungen kurz und bündig zu halten, oder wie es mir einer meiner Lieblingsfluglehrer beigebracht hat: „Perform your briefing quick & dirty.“ In diesem Sinne hoffe ich, dass du etwas Sinnvolles aus meinen Lehren ziehen kannst oder vielleicht sogar deine eigenen Erkenntnisse unten in der Kommentarbox mit uns teilst.

Hier noch die Auflösung der Frage: richtig wäre Antwort D.

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